Zwangsstörungen

Was sind die Hintergründe und Erscheinungsformen?

Barbara Heiniger Haldimann, eine Schweizer Psychologin und Psychotherapeutin, beschreibt in ihrem Buch über Zwangsstörungen, die Geschichte dieser Erkrankung. So gehörten sie früher zu den rätselhaftesten psychischen Störungen. Im 19. Jahrhundert beschrieb man Zwänge entweder als Teufelswerk oder als Bestandteil von Depressionen.

Seit der Wende ins 20. Jahrhundert werden Zwangsstörungen als eigenständiges Syndrom (das gleichzeitige Vorliegen verschiedener Krankheitszeichen) betrachtet. Den Symptomen (Gedanken und Handlungen) wurde mehr Bedeutung beigemessen. In der Behandlung wurde nach den Hintergründen der Symptome gesucht, die Krankheitszeichen wurden aber nicht direkt behandelt. Bis in die 60er Jahre galten Zwangsstörungen als Störungen mit schlechter Behandlungsprognose; in den letzten Jahren konnten jedoch Erklärungsmodelle entwickelt werden, welche die Therapierbarkeit deutlich verbessert haben.

 

Was sind die Symptome der Zwangsstörung?

nach Fritz Riemann:

Leitmotiv: „Ich bin, weil ich alles plane“

  • Zwanghafte Menschen möchten jeden Zufall ausschalten.
  • Ihr Sicherheitsbedürfnis ist übergroß.
  • Am liebsten wollen sie, dass alles so bleibt, wie es ist.
  • Sie neigen zu Prinzipienreiterei.
  • Sie sind oft in einem Haushalt aufgewachsen, in dem es hieß: Ordnung ist das ganze Leben.
  • Zwanghafte Menschen neigen dazu, sich selbst einzuengen und unter allen Umständen an Regeln festzuhalten.
  • Doppeldeutigkeiten können sie kaum aushalten.
  • Zwänge vertreiben oft das Lebendige in ihrem Leben und die Lust auf Aktivitäten aller Art.
  • Sie stehen folglich unter einem enormen Innendruck, wirken starr und ungelöst.
  • Sie neigen dazu, den Partner, die Partnerin und die Kinder nach ihrer Vorstellung, die für sie als die einzig richtige gilt, zu formen.
  • Sie mögen, dass alles „wie immer“ bleibt - Sie sind wenig experimentierfreudig.

Zwanghafte Menschen sind ausdauernd, fleißig, konsequent, planvoll und verantwortungsbewusst. Man kann auf sie bauen.

Die Betroffenen leiden darunter, dass sich ihnen immer wieder „unsinnige“ Gedanken aufdrängen und/oder der unwiderstehliche Drang entsteht, bestimmte Handlungen (z. B. zählen, kontrollieren, die Hände waschen, Gegenstände reinigen, Listen erstellen usw.) auszuführen. Die Unterdrückung dieser Impulse bewirkt einen hohen Leidensdruck und eine große Angst davor, dass ein Unglück geschieht oder jemand anderer zu Schaden kommt, wenn diesem Impuls nicht sofort nachgegeben wird. Da die Erleichterung nach der Ausführung der Zwangshandlung nur kurze Zeit besteht, beginnt ein Teufelskreis aus belastenden Gedanken und den vermeintlich beruhigenden Ritualen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Zwangsstörungen können in der Regel mit gutem Erfolg behandelt werden. Sowohl Medikamente als auch geeignete Psychotherapie werden dazu eingesetzt.

Bei der Behandlung mit Medikamenten haben sich vor allem jene Mittel durchgesetzt, die positiv auf die Stimmung wirken. Eine besonders gute Wirkung zeigen dabei Antidepressiva, die auf den Neurotransmitter Serotonin einwirken, sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Diese Medikamente werden in der Regel gut vertragen und bergen keine Gefahr einer Abhängigkeit.

Die rein medikamentöse Therapie verspricht zwar eine recht zügige Besserung, doch treten die Zwänge eventuell nach Absetzen des Arzneimittels sehr bald wieder auf. Deshalb sollte eine Kombination von Medikamenten und Psychotherapie angewandt werden. Auch die alleinige Behandlung mit Psychotherapie kann unter Umständen ausreichend wirksam sein.

Psychotherapie bei der Zwangsstörung

Im Zentrum einer erfolgreichen Psychotherapie stehen spezielle Techniken, die darauf abzielen, den Betroffenen unter professioneller Aufsicht daran zu hindern, seine Rituale durchzuführen bzw. wird er sogar angehalten, genau das Gegenteil zu tun.

Das Ziel dieser Übungen ist,

  • dem Betroffenen zu zeigen, dass die gefürchteten unangenehmen Gefühle wie Angst, Abscheu und Ekel wieder abnehmen und
  • dass die so sicher erwartete Katastrophe beim Unterlassen der Rituale nicht eintritt.

Im Rahmen der Übungen wird entweder stufenweise vorgegangen, oder der Betroffene wird sofort dazu aufgefordert, das zwanghafte Verhalten vollkommen zu unterdrücken. Dabei lernen die Betroffenen, dass ihre Befürchtungen nicht eintreten, wenn sie ihren Zwängen nicht nachgehen (Expositionsübungen).

Beim sogenannten „kognitiven Umstrukturieren“ werden die Zwangsgedanken analysiert und durch neue, passende Gedanken ersetzt.

Auch wird die berufliche bzw. soziale Umgebung der Betroffenen analysiert. Nicht selten kommen dabei Probleme zum Vorschein, die die Zwangsstörung aufrechterhalten. In der Therapie werden dann Möglichkeiten gesucht, diese Lebensumstände, den Umgang mit problematischen Situationen und deren Bewertung zu verändern.

Wie können Sie als Betroffene zur Genesung beitragen?
  • Scheuen Sie sich nicht, Hilfe zu suchen!
  • Vertrauen Sie sich jemandem an. Bitten Sie diese Person (Ihren Partner/Ihre Partnerin, Ihren Hausarzt), Sie bei der Suche nach Hilfe zu unterstützen.
  • Lassen Sie Ihre Zwänge nicht Ihr Leben bestimmen – gehen Sie dagegen vor! Je länger Sie warten, desto schwieriger wird die Therapie.
  • Stärken Sie Ihre Ressourcen: Menschen brauchen einen sicheren Rückhalt. Stabile Beziehungen zu Freunden, Bekannten und Verwandten sind ein wichtiger Sicherheitsfaktor. Auch eine sichere Wohnsituation, ein stabiler Arbeitsplatz und genügend Kraft durch eine gesunde, ausgeglichene Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung wirken stabilisierend.

 Schreiben Sie ein Zwangstagebuch

  • Welche Zwänge haben Sie? Beschreiben Sie diese genau.
  • Wann treten die Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen auf?
  • Wie fühlen Sie sich dabei?
  • Haben Sie Angst?
  • Wie verändert sich die Angst mit der Zeit?

Überprüfen und verändern Sie Ihre Einstellungen und Bewertungen und relativieren Sie Ihre Gedanken. Menschen mit Zwangsstörungen haben häufig das Bedürfnis, das Schicksal vollkommen kontrollieren zu müssen und sehnen sich nach 100%iger Sicherheit. Realistisch gesehen ist das natürlich nicht möglich.

Überprüfen Sie, ob diese Wünsche mit Ihrem Zwangsverhalten zusammenhängen könnten.

Sie benötigen die Stützung Ihres Selbst und der Spontanität, nicht nur das Anstreben von Entweder–Oder-Lösungen.

Verwendete Literatur und Lesetipps

Lesetipps:

  • Althaus, D. & Niedermeier; N.; Niescken; S.: Zwangsstörungen - Wenn die Sucht nach Sicherheit zur Krankheit wird; Verlag C. H. Beck (2013)
  • Ecker, W.: Die Krankheit des Zweifelns - Wege zur Überwindung von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen (2015), Cip-medien-verlag
  • Ambühl, H.: Frei werden von Zwangsgedanken (2012), Patmos - Verlag

Verwendete Literatur:

  • Heiniger, B. Haldimann, Ambühl, H (Herausgeber): Psychotherapie der Zwangsstörungen. Thieme Stuttgart (1998)
  • Riemann, F. : Grundformen der Angst. Reinhardt, München Basel (2006)
  • Hohagen, F., (Herausgeber), (2014): S 3-Leitlinie Zwangsstörungen. Springer, Berlin (2014)
  • Mentzos, S.: Neurotische Konfliktverarbeitung. Fischer, Frankfurt ( 2011)
  • Benkert, O., Lenzen-Schulte, M.: Zwangskrankheiten. Ursachen, Symptome, Therapien. Beck`sche Reihe, München (2006)

Redaktion:

Mag. Gunter Mandl, Dr. Andrea Jansche, Prim. Dr. Ingeburg Spendel, Mag. Petra Müller